Die Versammlung ist die Figur der affizierten Körper
Die Versammlung ist die Figur der Reverberation
Die Versammlung ist die Figur der Abstimmung
Die Versammlung ist die Figur der Macht
Die Versammlung ist die Figur des Neuen
Die Versammlung ist die Figur der Emotion
Die Versammlung ist die Figur des Zusammenkommens
Die Versammlung ist die Figur des Identifizierens
Die Versammlung ist die Figur der Relationalität
Die Versammlung ist die Figur des Eindrucks
Die Versammlung ist die Figur der Kollektivität
Die Versammlung ist die Figur der Namensgebung
Die Versammlung ist die Figur der Freiheit (?)
Die Versammlung ist die Figur der Stütze

Die Versammlung ist die Figur der affizierten Körper.

 

Als Grundbedingung des Affiziertwerdens braucht es empfängliche Körper, womöglich auch bestimmte Formen verkörperlichter Vulnerabilität, ohne die ihre Wirkung nicht verständlich wäre. Der Körper ist dabei als relationaler zu denken, als Verkörperungen kontingenter und individueller Erfahrungen. Erfahrungen, die als Affekte, Emotionen und Empfindungen wahrgenommen werden können, welche die dynamische Textur eines Lebens ausmachen. Erfahrungen als beständiges Engagement verkörperter Interaktionen mit der Umgebung. Deshalb kann Körper nur situiert und interaktiv begriffen werden und nicht als Entität. Der Affekt ist schwer zu denken, entspringt er doch einem Feld von Dauerbewegungen. Der Affekt ist nicht messbar und bestimmbar, zu feinstofflich seine Konsistenz, zu flüchtig sein Auftritt, zu flink seine Vibration, und doch ist sein Effekt prägnant. Vielleicht gelingt es uns, den Affekt vorzustellen, in dem wir an kleinste Bewegungen denken. Eine Art Schallwellen.

 

Das heisst, Versammlung ist die Figur der Reverberation.

 

Die Bewegungen schallen durch ein Feld, reverberieren durch, in und um Körper. Sie finden Platz in Verkörperungen, in Diskursen, Institutionen oder prallen irgendwo ab und schallen weiter – hörbar und unhörbar und immer in Bewegung. Das Feld, das als Beziehungsökologie verstanden werden muss, indem Körper nicht als individuelle und abgeschlossene gedacht werden, sondern als durchlässige, resonierende und vibrierende, bedeutet in ihrer Relationalität auch Responsabilität. Die Relationen sind geprägt von Geschichten und Biografien, und das Miteinander-Werden birgt viele Risiken. Es geht dabei nicht um Aussöhnung oder Restaurierung, sondern um Erholung und gemeinsames Weitermachen. Es gilt, sich in diese Komplexität von Bezugnahmen permanent einzustimmen und sie abzustimmen.

 

Das heisst, Versammlung ist eine Figur der Abstimmung.

 

Sie ist nicht direkt an einen Willen oder an Intentionalität gebunden. Die Abstimmung sucht sich in Bewegung. Selbst bei einer Feineinstellung gelingt nie die exakte Übereinstimmung, es bleibt lediglich bei einer Annäherung des Möglichen. In der Regel versuchen sich Körper auf die Norm eines Feldes abzustimmen. Die Reverberation der genormten Bewegungen sind kräftig und laut. Sie hallen erstaunlich weit, und ihr Echo ist unendlich hörbar und durchdringend. In ihrer wiederholenden Attitüde manifestieren sie sich leicht in einer relationalen Ökologie.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur der Macht.

 

Die individuellen Verkörperungen scheinen für normatives Affiziertwerden besonders empfänglich. Die relationale Ökologie innerhalb der normativen Zustände weist eine hohe Dichte an Verkörperungen auf und verstärkt somit den Affizierungsradius. In der Abhängigkeit aller fällt es leicht, innerhalb kräftiger Bewegungen zu resonieren. Es ist der Weg des geringsten Widerstandes. Doch die Bewegung einzelner Verkörperungen ist störungsaffin. Affiziertwerden lässt Tendenzen von Richtungsänderungen zu, ein Entstehen neuer Bewegungskompositionen. Selbst wenn rasch die Annahme gemacht werden könnte, dass sich Individuen gegenseitig entsprechende Hinweise zu Richtungstendenzen geben, ist es viel eher so, dass die Bewegung selbst auf eine im Entstehen begriffene, relationale Ökologie hinweist. Geschwindigkeiten, Langsamkeiten und Handlungen müssen mit der sich verändernden Relationalität des Feldes abgestimmt werden. Es erfordert eine komplexe Einstimmung von Verkörperungen, um zu einer Versammlung bewegt zu werden, und dies geht meistens mit Emotionen einher.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur des Neuen.

 

Das Neue ist eine Bewegungsänderung, die äusserst lebendig ausfällt. Es ist das, was bleibt, was schon war und jetzt über diesen Zustand hinausgeht. Jede Versammlung ist eine Erfahrung des Mehr, eines Überschusses an Emotion. Dieser Überschuss ist eine diffuse Richtungstendenz, aber stark in der Führung. Das Diffuse lässt sich nicht kategorisieren und ist auch zeitlich nicht verortbar. Es kommt weder aus der Gegenwart, der Vergangenheit, noch aus der Zukunft. Es wird im Entstehen durch die Zeiten gezogen und trägt doch dazu bei, neue relationale Ökologien zu formen. Besonders vulnerable Körper sind sehr empfänglich für das Neue, da ihre Verkörperungen innerhalb normativer Bewegungen Gewalt und Repression erfahren. Ihre emotionale Arbeit ist Bestandteil ihrer Existenz und relationale Verbindung zu Vielen.

 

Das heisst, Versammlung ist eine Figur der Emotion.

 

Wenn individuelle Verkörperungen von dem, was auf sie einwirkt, ergriffen werden, wird die Emotion zu einer Handlung, mit der sich der Körper identifizieren kann. Es ergibt sich daraus eine neue Art des Sehens und der Aufmerksamkeit. Die Versammlung beginnt nicht mit einer vorbestehenden Gruppe oder singulären Identitäten, sie entsteht erst in Bewegung, in der Bezugnahme. Es formt sich Raum für die Erfindung neuer Existenzmodi, für die Erschaffung unerforschter Lebensformen und vor allem für bestärkende Zusammenschlüsse, die einen einzelnen, vulnerablen Körper zu einem grossen heranwachsen lässt.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur des Zusammenkommens.

 

Die Versammlung, die sich formt und in Erscheinung treten will, ist somit eine Inszenierung. Das ist gewissermassen paradox, da es keiner Inszenierung gelingen kann, sich adäquat zu repräsentieren. Das Zusammenspiel der relationalen Ökologie innerhalb der Versammlung ist zu heterogen, als dass sie als etwas Spezifisches identifiziert werden könnte. Doch die Dringlichkeit, ein Wir herzustellen, einem diffusen Begehren folgend, steht im Moment des Zusammenkommens im Vordergrund. Sie führt dazu, eine Repräsentation ins Aussen zu transportieren, damit innerhalb der relationalen Ökologie ein Identifizieren stattfinden kann. Die Versammlung braucht Resonanzen und Affizierungseffekte, um wirkmächtig zu werden.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur des Identifizierens

 

Das Identifizieren mit der Bewegung wird Grundlage für Handeln und Versammlung.

Die Emotion unterscheidet sich insofern vom Affiziertwerden, als dass sich erstere meistens konkreter in individuellen Verkörperungen manifestiert. Was nicht heisst, dass die Emotion individuellen Körpern entspringt. Die Emotion selbst hat kein Innen oder Aussen, sie kann als Projektion der relationalen Ökologie in individuelle Verkörperung verstanden werden. Zu welchem emotionalen Ausdruck oder Eindruck Körper dann empfänglich sind, ist aber nicht zufällig. Je nachdem, wie Körper innerhalb des Feldes aufgestellt sind, sind sie mehr oder weniger vulnerabel.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur der Relationalität.

 

Die Emotion geht dem Affiziertwerden meistens voraus. Emotionen wie Ärger oder Angst sind also relevant, um Welt mit anderen zu bewohnen und in Beziehung zu kommen. Emotion handelt von der Intimität des Mit. Emotionen tun etwas und tragen dazu bei, dass sich Individuen aufgrund der Intensität ihrer Bindungen auf Kollektive ausrichten – oder körperlicher Raum auf sozialen Raum. Bewegung schneidet also Körper nicht vom Wo ihres Aufenthaltsortes ab, sondern verbindet Körper mit anderen Körpern – Bindung vollzieht sich über Bewegung, über ein bewegt Werden von der Nähe anderer. Die Bewegungen und Berührungen innerhalb der relationalen Ökologie hinterlassen Eindrücke.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur des Eindrucks.

 

Sara Ahmed schreibt in Kollektive Gefühle: «Die Eindrücke anderer treten als Druckstellen auf dem Körper zutage, wobei die Druckstellen zum Zeichen ihrer Abwesenheit werden oder zum Zeichen einer Anwesenheit, die nicht mehr ist. Der Eindruck ist ein Zeichen des Beharrens anderer im Angesicht ihrer Abwesenheit. Der Eindruck auf der Haut ist selbst Effekt von Eindrücken.»

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur der Kollektivität.

 

Mit der Aussprache des Wirs konstituiert sich während einer Inszenierung oder Vokalisierung entweder wörtlich oder sinnbildlich eine Gruppe von Verkörperungen. Die Aussprache des Wirs ist Akt von Selbstbestimmung und Selbstinszenierung. Wenn Körper sich versammeln, wird ein Wir hergestellt. Die diskursive Berufung auf das Wir, bezieht sich folglich auf eine Gruppe von zusammengekommenen Körpern, deren Bedürfnisse, Begehren und Forderungen noch nicht vollständig bekannt sind und deren Zusammenkunft mit einer Zukunft verknüpft ist, die erst noch gelebt werden muss. Dieser Akt der Zusammenkunft der Körper ist performativ. Die Versammlung ruft eine Bewegung ins Leben oder ruft dazu auf, sich im Namen der Äusserungen zu versammeln. Eine Wir-Inszenierung kann sprachlich oder still erfolgen, bewegend oder reglos. Reglos und still meint auf jeden Fall auch, dass die stillen und reglosen Körper reverberieren und affizieren.

 

Die Versammlung ist also eine Figur der Namensgebung.

 

Die Performativität der Gruppe Körper manifestiert sich gegebenenfalls bei wiederholter Inszenierung, die verbal und nonverbal, leiblich und virtuell, über unterschiedliche Raum- und Zeitzonen hinweg, auf verschiedenen Arten von öffentlichen Bühnen und virtuellen Realitäten, aber auch aus den Regionen der Verbannung vorgenommen werden. Ja selbst der eingesperrte Körper ist fähig zu handeln. So zum Beispiel in Form eines Hungerstreiks. Vielleicht wird die Gruppe alsbald mit einem Namen genannt und erhält ein Narrativ, eine assoziierte Imagination. Indem die Versammlung in Erscheinung tritt, macht sie sich grundsätzlich angreifbar. Sie kann aber auch im Namen der Inszenierung widerständig sein.

 

Heisst das, die Versammlung ist also eine Figur der Freiheit?

 

Im Zuge von Menschenrechtsdiskursen wird die Versammlungsfreiheit oft als fundamentale Form der Freiheit beschrieben. Wenn dem so wäre, müsste die Versammlung innerhalb der relationalen Ökologie von der Norm gestützt werden, was aber in sich widersprüchlich ist, da die Versammlung die Norm zu einer neuen Richtungstendenz bewegen kann. Es liegt aber in der Affizierungsweise der Norm, die Fähigkeit zu haben, Schutzbewegungen so zu leiten, dass sich ihre Macht nicht zu sehr bewegen lässt. Die Versammlung unterliegt also innerhalb ihrer relationalen Ökologie auch einer Kontrollbewegung und erhält nicht in jedem Fall eine Existenz- oder Erscheinungslegitimation.

 

Das heisst, die Versammlung ist eine Figur der Stütze.

 

Die Versammlung braucht innerhalb der relationalen Ökologie Stützen. Es braucht verschiedenste Formen infrastruktureller Stützen: Gesundheitsdienste, Bildungssysteme, soziale Sicherung und vieles mehr. Wenn jedoch genau die Abwesenheit infrastruktureller Unterstützung zum Grund verkörperter Handlung und Versammlung wird, wodurch sind dann diese Körper gestützt? Es dürfte ein anderes Ensemble von Stützen sein. Vielleicht soziale Beziehungen, gemeinschaftliche Praktiken, solidarische Bezugnahmen oder subversives Organisieren. Zeitlichkeit und Räumlichkeit sind für die Versammlung nicht relevant, sie kann zerstreut und zersplittert sein. Vielmehr handelt es sich um Sequenzen und Perspektiven verschiedenster Art. Die Plattform kann selbstverständlich auch virtueller Realität entsprechen oder in einer anderen Feinstofflichkeit im Äther schwingen. Die Versammlung kann also als serielle, räumlich verteilte Akte verstanden werden, die nicht unbedingt auf die gleiche Weise wirken. Die Versammlung stellt sich quer.

 

Die Versammlung.

Anmerkungen

  1. Butler, Judith: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung, Berlin: Suhrkamp, 2016

  2. Butler, Judith: Wenn die Geste zum Ereignis wird, Wien/Berlin: Turia + Kant, 2019

  3. Rolnik, Suely: in 8M – Der große feministische Streik, Konstellationen des 8. März, Wien: transversal texts, 2018

  4. Ahmed, Sara: Feministisch leben! Manifest für Spassverderberinnen, Münster: Unrast Verlag, 2018

  5. Flusser, Vilém: Into the Universe of Technical Images, University of Minnesota Press, 2011

  6. Manning, Erin: The Minor Gesture, Duke University Press, 2016

  7. Haraway, Donna J.: Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten. Chthuluzän, Fadenspiele mit Art-GenossInnen, Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2018

  8. Hayles, Katherine, Fleisch und Metall: Rekonfiguration des Geistkörpers in virtuellen Environments

bedeutet die kontingente Allianz einer Theoretiker_in, die gerne in und rund um den queer feministischen Kuchen denkt, vernetzt und diskutiert, einer Texter_in, die in sca’s schreibmühle forscht, Worte (er)findet und sie zur Disposition stellt,

einer Hebamme, die Menschen ausserklinisch beim Elternwerden begleitet (make kin not babies!), einer DJ, die unter dem Namen Scarlett gesellschaftlich markierte Stimmen streut,

eines Kollektivmitglieds von OOR, das Sound verlernt und zuhört, einer Künstler_in, die sich transdisziplinär erprobt und bewusst verirrt, einer Veranstalter_in, die diverse Räume bespielt, vergnügliche, dringliche und inadäquate und, zu guter Letzt, einer Hochstapler_in, die immer eine Figur zu ihrem Besten gibt. Die Allianz ist bemüht, sich regelmässig Spass verderbend zu positionieren, ihren eigenen Körper kritisch zu untersuchen und sich weiterhin die Frage zu stellen – wie ein gutes Leben in einem schlechten Leben geführt werden kann.