Der Pos(ier)er verbindet als Schachtelfigur den Poser mit dem Posierer. Er zeigt Posen, indem er sie einnimmt, zeigt dabei aber auch das Einnehmen von Posen. Er blufft, ist Spiegel und Pfeil, stellt sich aus, posiert, macht sich verletzlich, provoziert, wird entlarvt, zeigt sich als Zeigender und ist sich seiner Kontingenz bewusst. Er ist eine ironische Figur, die durch das Zeigen von Posen eine Theorie über Posen produziert, aber auch über das Figurieren an sich.

Ich zeige mich in einer Pose und untersuche sie in diesem Zeigen. Ich bin Spiegel, weil ich die Pose von anderen abgeschaut habe und sie ihnen zeige. Pfeil bin ich, weil ich dabei auf die Pose zeige, die eingenommen wird. Die Pose erhält durch die von ihr abgeleiteten Tätigkeitswörter, dem Anglizismus ‘posen’ und seinem Vorläufer ‘posieren’, zwei unterschiedliche Bedeutungen. Als Poser bluffe ich, bin Wichtigmacher und zeige mich aktiv als Behauptung von mir selbst, werde aber – und das ist Voraussetzung für diese Begriffshälfte des Pos(ier)ers – dabei entlarvt. Als Posierer hingegen überwiegt nur scheinbar ein passives Sich-Zeigen im Einnehmen der Pose für einen Blick von aussen. Das Posieren ist nämlich immer auch ein Maskieren, ein Verheimlichen. Deep fake. Ich entlarve, indem ich zeige, werde dabei als Poser entlarvt, zeige mich maskiert und zeige dadurch das Maskieren und das Zeigen. Als Pos(ier)er bin ich diese Gleichzeitigkeiten. Aktiv-passiv wird im Zeigen Theorie produziert. Mieke Bal spricht von einer double exposure: “Something is made public in exposition, and that event involves bringing out into the public domain the deepest held views and beliefs of a subject. […] Therefore, in publicizing these views the subject objectifies, exposes himself as much as the object; this makes the exposition an exposure of the self.”1

Das Zeigen der Pose ist eine ironische Strategie, die Pose des Zeigens ist eine ironische Pose und der Pos(ier)er ist eine ironische Figur. Was heisst ironisch? Ich nutze mit Sibylle Peters “das für die Wissenspoiesis der Fälschung konstitutive Spiel mit dem Zweifel.”2 Ironie bedeutet also nicht einfach nur das Gegenteil dessen zu meinen, was man sagt, sondern jedes Gegenteil in allem Sagen immer mitzumeinen. Es könnte immer alles anders sein. Ironie ist die Gleichzeitigkeit beider Sichtweisen oder beider Zustände einer Kippfigur. Sie stellt eine Illusion von Echtheit her, zeigt deren Gemachtheit und bricht sie dadurch. Der Frühromantiker Friedrich Schlegel nennt dies einen ständigen Wechsel von “Selbstschöpfung und Selbstvernichtung”.3 Im ironischen Umarmen aller Gegenteiligkeit zeigt sich denn auch eine wahrheitsskeptische Position. Aus dem Spiel von Ernst und Spiel wird Ernst – und Spiel. Next Level. Ich verstehe diese explizit reflexive, zeigend-illusionsbrechende Ironie der Frühromantiker als Form von Theorieproduktion, und da ich als Pos(ier)er eine ironisch-selbstreflexive Figur bin, gilt das auch für mich und mein mehrschichtiges Posen-Zeigen: Ich produziere Posen-Theorie.

Gemeinhin an ironische Strategien geäusserte Vorwürfe, Ironie verkomme zum Selbstschutz, zur blossen Pose, sie sei eine Masche, um unter dem Deckmantel des Ungefähren keine klaren Aussagen machen zu müssen, würde ich nur zum Teil gelten lassen. Wenn eine grundironische Haltung im Umgang mit Widerspruch und Widersprüchlichkeit das Machen von klaren Aussagen tatsächlich grundsätzlich in Frage stellt, kann allerdings entweder gar nicht oder dann nur apodiktisch auf solche Vorwürfe reagiert werden. Ich liesse die Vorwürfe aber gelten, wenn eine ironische Position starr und nicht mehr mehrdeutig wäre. Das heisst, wenn der eigene Ironiegebrauch, das eigene Ironiker*in-Sein, die eigene ironische Pose nicht immer auch mit-ironisiert würden. Wenn Ironie sich scheinbar komplett verweigerte, also auch jedem weiteren Changieren und Balancieren – und sich dadurch aber eben gerade nicht komplett verweigerte, indem diese Verweigerung sich nämlich nicht auch sich selbst verweigerte. Auch wenn das wiederum als schlaumeierisches Vorwegnehmen allfälliger Vorwürfe ausgelegt werden kann, als Relativieren von Relativismusvorwürfen, scheint mir das doch der einzig richtige Umgang mit den aus allen Richtungen lockenden Richtigkeitsansprüchen. Aber ich schweife ab.

Die Pose verlässt den Rahmen des Bildes oder Selfies, ist nicht mehr eingefrorenes Posing, sondern wird mindestens zum GIF. Nicht zufällig passen hier die Konnotationen dieses durchaus oberflächlichen, weil nicht zuletzt unendlichen Bewegungsloops der Online-Kommunikation, der aber durchaus über ein smartes Zitieren-Können Auskunft zu geben beginnt. Die Pose wird zur Körpergeste, die etwas zeigen will. Für Nadja Geer drückt die Pop-Pose “die Ambiguität zwischen Einbildungskraft und Konvention, zwischen Ritual und individueller Performance, zwischen Zitat und Witz – und ganz besonders zwischen Medialität und Sein – sehr viel besser aus als die Pose in der Fotografie oder in der Kunst.”4 Bei Diedrich Diederichsen ist die Pose im Pop eine entscheidende Grösse, ist kleinste Einheit, ist Primzahl5 und “stellt so etwas dar wie eine Handlungsmöglichkeit, die verdorben wäre, wenn sie unmittelbar in Handlung übersetzt würde – oder wenn sie zur Passivität verkäme.”6 Geer erkennt zwar eine Passivität der Pose in der “Position des postmodernen Subjekts, das sich […] jeder Handlungsmöglichkeit beraubt [sieht]”7, zeigt aber auch, dass “der Begriff in der Poptheorie an Relevanz [gewinnt], da die selbstreflexive ‘Als-Ob-Authentizität’ des Pop als ‘Authentizität zweiter Ordnung’ der Authentizität erster Ordnung als ebenbürtig zur Seite gestellt wird.”8 Ich bin nicht sicher, ob ich da noch von einer Ebenbürtigkeit sprechen wollen würde oder ob nicht die Pop-, also Als-Ob-Pose, die immer auch auf sich selbst zeigt, im ironischen Spiel von Echtheit und Gemachtheit eine “Authentizität erster Ordnung” überträfe und geradezu aushebelte, indem sie diese grundsätzlich in Frage stellt. So wäre die Pop-Pose mehr als nur posierliches Posing, sondern ein Beispiel der eben beschriebenen ironischen Strategie, die spielend zeigt. Ironie als Spielanleitung. Geer fährt mit Lawrence Grossberg denn auch weiter: “Wenn jede Identität gleichermassen vorgetäuscht ist, eine eingenommene Pose, dann feiert die authentische Unauthentizität die Möglichkeiten der Pose.”9

Ich als spiegelnder Zeiger oder eben Pos(ier)er, der ich überall Posen sehe und lese, möchte diesen identitäts-bildenden Posenbegriff der Poptheorie jetzt auf alle und jede*n ausweiten. Wie man nicht nicht kommunizieren kann, weil man sich nicht nicht verhalten kann (Watzlawick), könnte man entsprechend auch nicht nicht pos-(ier)en. Die Pose betrifft längst nicht nur “Bühnenpersonen” – und spielen wir bekanntlich nicht sowieso alle Theater (Goffman)? –, sondern uns alle, die wir ständig mit dem unbewusst-bewussten Herstellen einer eigenen Identität beschäftigt sind, unserem jeweiligen Entwurf des Selbst: wie wir gehen, wie wir uns kleiden, wie wir uns geben. Und dies gilt immer auch, wenn wir glauben machen wollen, nicht spezifisch zu gehen, uns nicht bewusst zu kleiden oder uns gar nicht in irgendeiner Form zu geben. Entweder gründet diese Posenpolemik jetzt in meiner déformation positionnelle oder es stimmt, dass ich alle problemlos in ihren jeweiligen Posen erkenne und zeige. Diese Posen sind Vereinfachungen der Möglichkeiten des Selbst, die allen und sich selber zeigen: “So bin ich.” Diese angenommene Allgegenwart der Pose macht ein Nachdenken über sie allerdings nicht überflüssig. Im Gegenteil bin ich ständig provoziert, mit ihr zu spielen und dadurch zu zeigen, dass und wie Posen eingenommen und so Wahrheiten und Konventionen übernommen und weitergegeben werden – und möchte dabei diese Apotheose der Pose meinerseits immer auch mitzeigen.

Das bringt mich zur Frage, wie und ob der Posenbegriff mit dem Figurenbegriff verwandt sein könnte. Die beiden Konzepte sind insofern nicht kongruent, als eine Figur ganz banal verschiedene Posen einnehmen kann. Jede Figur funktioniert aber über ihre Konventionalisierung durch discourse communities. Das heisst, dass sie einen gewissen Grad an Allgemeingültigkeit oder eben Gültigkeit für eine Diskursgemeinschaft besitzen muss, um selbst in ihren ironischsten Zeigungen noch zeigbar und lesbar zu sein. Das darf hier nicht als Zurücknehmen des ironischen Aufhebens der Eindeutigkeit von Aussagen verstanden werden, sondern bleibt Voraussetzung für die reflexive Denkfigur des Figurierens, die ihre eigene Konventionalisierung immer auch zum Thema hat. Dementsprechend müsste es sich auch mit der Gültigkeit von Posen so verhalten. So steht die Pose einerseits sowohl für verkörperte Konventionen, die nur in ihrer Vereinfachung als solche gelesen werden können, zeigt dabei andererseits in dieser Komplexitätsreduktion auch wieder auf ihre Konventionalisiertheit. Genau in der Reduktion hin zur Allgemeingültigkeit, die die Denkfigur ‘Pose’ und die Denkfigur ‘Figur’ miteinander verwandt macht, bieten beide dann aber einem Verallgemeinerungsvorwurf durchaus Angriffsflächen. Ist diese Vereinfachung aber nicht sowieso die melancholisch stimmende Bewegung jedes Theoretisierens, nämlich den Detailreichtum des Beispiels eintauschen zu müssen gegen eine modellhafte Verdeutlichung der Theorie? Ich schneide auf. Ich pose hart. Theorien sind schlussendlich aber Werkzeuge des Schärfens und Zuspitzens, des Schneidens und Zeigens.

Ich möchte jetzt aber gerne wieder von mir sprechen und festhalten, dass meine spezifische Pose des Pos(ier)ers, die ironisch, spielerisch, zeigend und dadurch eben auch theoriebildend funktioniert, dass ein Pos(ier)en, wie ich als Figur es mache, ein hochgradig reflexives Figurieren ist, das in einer ironischen Distanznahme sich als Zeigendes des Zeigens zeigt und dabei alle möglichen Posen und Figuren mitzeigt, und behaupte mich Pos(ier)enden an dieser Stelle offiziell als den Meta-Figurierer schlechthin.

Anmerkungen

  1. Bal, Mieke: Double exposures. The subject of cultural analysis, New York/London: Routledge 1996, S. 2

  2. Peters, Sibylle: Der Vortrag als Performance, Bielefeld: Transcript 2011, S. 203

  3. Schlegel, Friedrich: “Athenaeum”-Fragmente und andere frühromantische Schriften, hrsg. von Johannes Endres, Ditzingen: Reclam 2018, S. 58

  4. Geer, Nadja: “Eine Herausforderung für das, was ist”, in: Hörner, Fernand (Hrsg.): Kulturkritik und das Populäre in der Musik, Münster: Waxmann 2016, S. 129

  5. Vgl. Diederichsen, Diedrich: Über Pop-Musik, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014, S. XXVIII

  6. Ebd.
  7. Geer, S. 124
  8. Ebd.; den Begriff “Authentizität zweiter Ordnung” entnimmt Geer aus: Düllo, Thomas: Kultur als Transformation. Eine Kulturwissenschaft des Performativen und des Crossovers, Bielefeld: Transcript 2011, S. 445

  9. Grossberg, Lawrence: We gotta get out of this place. Rock, die Konservativen und die Postmoderne, Wien: Löcker 2010, S. 220, zit. in Geer, ebd.

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, geboren 1985 in Olten, wohnt in Zürich und Berlin. Er studierte Kontrabass an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und tritt als Kontrabassist, Sänger, Gitarrist, Cellist, E-Bassist und Bediener diverser elektronischer Geräte im In- und Ausland auf (Europa, Japan, Südamerika, Iran). Stilistisch verteilt sich das Interesse dabei auf einen breiten Horizont von Jazz, freier Improvisation, experimentellem Pop und Ambient. Er ist Vorstandsmitglied der WIM (Werkstatt für improvisierte Musik) Zürich, war als Theatermusiker für verschiedene Produktionen verantwortlich und unterrichtet Kontrabass, E-Bass und Pop/Rock-Bands an den Musikschulen Dietikon und Frauenfeld. Seit 2018 studiert er “Transdisziplinarität in den Künsten” an der ZHdK mit den Schwerpunkten Ironie, Zeigen und Theorieproduktion der Künste.