Das Listenmensch als verstehendes und verständiges, kluges und vernünftiges, mit Tatkraft und praktischem Sinn ausgestattetes Wesen bedient sich der Liste zunächst als einer List, den aus Skrupeln und Zweifeln erwachsenden prokrastinierenden Tendenzen durch Listenschreiben entgegenzuwirken. Listen sollen zum Tun bewegen; sie formieren sich zwischen denkender und ausführender Handlung, zwischen Absicht und Verrichtung, Plan und Ziel. Dem Listenmensch gehen Listen leicht von der Hand. Um der Gefahr zu entgehen, für immer im Vakuum zwischen Denken und Handeln gefangen zu bleiben, erklärt das wahre Listenmensch das Listenschreiben schliesslich selbst zur ausführenden Handlung. Listen sind des Listenmenschen Werk.

LISTE 1:
Steckbrief: Angaben zur Einordnung einer Person.

Alter: 35
Geschlecht: Sie/Es
Beruf: suchend
Bildung: universitär
Zivilstand: “frei, los von gefangenschaft, strafe, schuld, verpflichtung”, so Grimm.
Herkunft: ungenau. Doppelte Staatsbürgerschaft.
Religion: atheistische Buddhisten-Christin mit einem Hang zum Universum.
Sprache: trilingual.
Hobbies: Notizen machen in Bücher und Hefte, auf Zettel. Meist Listen für Dinge, die nicht vergessen werden sollten oder vergessen gehen wollen, für Dinge, die zu tun sind, und um Dinge zu ordnen, meist Gedanken und Ideen, manchmal Gefühle.
Familie: Grossmutter, Schwester und ein Elternteil, das andere ist verstorben.
Umfeld: kleiner Freundeskreis.
Verhalten: teilweise asozial; hat aber nicht lieber Tiere als Menschen.
Zustand: Identitätskrise; teilweise einsam, auch wenn in geschätzter Gesellschaft.
Arbeitsort: ein Atelier im Quartier City, dem Zentrum von Zürich. Das wirtschaftliche Herz der Stadt, zwischen Bahnhofstrasse, in der sich Geschäft an Geschäft reiht, dem Platzspitz, ehemalige Suchthochburg, und dem See. Je näher beim Wasser, desto teurer das Angebot.
Wohnort: im Quartier Sihlfeld in einer im Fünfzigerjahre-Stil eingerichteten Zweizimmerwohnung neben der grössten Grünfläche der Stadt, dem gleichna- migen Friedhof. Viele berühmte Persönlichkeiten haben hier ihre letzte Ruhe gefunden. Unter ihnen befinden sich Henri Dunant, Gründer des Roten Kreuzes, oder Marie Heim-Vögtlin, die erste Schweizer Ärztin. Wiedikon ist ein sehr heterogenes Quartier, die Bewohner haben sich den Bauten angepasst.

 

LISTE 2:
Tagesablauf: Fragen, die der Alltag stellt

  1. Aufstehen. Keine Haustiere, weil allergisch. Pflanzen grüssen, weil alleine. Zudem hatte sie einmal irgendwo gelesen, das sei gut für deren Wachstum und therapeutisch für einen selbst, also gegen die Einsamkeit. Nützt’s nichts, schadet’s nicht.
  2. Grüntee aufgiessen, weil Kaffee ungesund ist. Mit drei Zuckerwürfeln pro Tasse geniessen, weil doch ein bisschen rebellisch. Sie mag ihre morgendliche Routine, diese gibt ihr das Gefühl, erwachsen zu sein, obschon sie ihre eigene Vorstellung von Erwachsensein verachtet: spiessig, langweilig und halt eben anti, also gegen jeglichen Spass im Leben.
  3. Lieblingsbeschäftigung: Liste erstellen, manchmal auch mehrere.
  4. Zeit im Badzimmer verbringen, mehrheitlich vor der eigenen Reflexion. Es ist der einzige Ort mit einem Spiegel. Weitere Spiegelflächen wurden zuerst mit Seidenpapier überklebt, dann entsorgt. Sie beanspruchten zu viel Zeit für die Auseinandersetzung mit dem äusseren Selbst. Nun bleibt mehr Zeit für das innere Selbst. Als sie noch Kind war, sah ihre Mutter das Spiegel-Problem, sie selbst sah es erst im Erwachsenenalter ein. Es ist Zeitverschwendung. Vielleicht auch etwas narzisstisch. Doch vor und nach dem Schlafen muss es sein, und sie geniesst diese Zeit mit sich selbst.
  5. Meditieren. Zur Ruhe kommen und sich selbst finden. Ersteres gelingt immer, letzteres nie, aber es ist eine weitere Beschäftigung, mit der sie sich vor der Arbeit drücken kann. Und der klägliche Versuch, nicht immer so viel zu denken. Sie beschäftige sich zu sehr mit sich. Widme ihrem Leben und dem Weltschmerz zu viel Zeit, meinte eine Freundin. Womit solle sie sich denn sonst beschäftigen, fragt sie sich seit Jahren. Wenn sie ihre Freunde mit dieser Frage belästigt, liefern sie eigentlich nie eine für sie zufriedenstellende Antwort – alles spiessig und langweilig. Um ihrem Image also eine etwas bescheidenere Note zu verleihen, meditiert sie nun täglich.
  6. In den Arbeitstag starten.
  7. Sich erneut der Liste widmen: selten in der gegebenen Reihenfolge. Das unkoordinierte Abarbeiten führt oftmals dazu, dass dieselben Punkte am nächsten Tag erneut dastehen. Gut nur, hat sie der Organisationskommunikation als organisationsfreies Talent den Rücken gekehrt und ist jetzt selbstständige Künstlerin. Schlecht nur, nimmt das Hinterfragen des Künstlerdaseins täglich so unverhältnismässig viel Zeit in Anspruch, dass fürs Künstlerin-Sein zu wenig Zeit bleibt. Sich nie als solche bezeichnen, weil sie nicht glaubt, eine zu sein, also schreibt sie auf Formulare “arbeitslos”.
  8. Dazwischen kommt aber trotzdem das Belohnungssystem zum Zug, das die Kreativität beflügeln sollte: Zigaretten, Spaziergänge, YouTube-Videos schauen. Lesen gehört nicht dazu, das ist Weiterbildung und nicht Freizeit. Wenn sie für reines Allgemeinwissen Lohn erhalten würde, hätte sie keine finanziellen Schwierigkeiten. Abends dann doch, wie ein Ritual, Biertrinken mit Freunden. Da wird sie oft gefragt, wie ihr Tag verlaufen sei, meistens lügt sie, nicht wegen den Anderen, sondern für sich selbst. Oftmals gratulieren ihr ihre Freunde für die gelungene Arbeit, für ihre tolle Ausstellung; sie glaubt, es sei nur, um sie aufzubauen und bedankt sich trotzdem.
  9. Zweimal in der Woche Joggen durch den Friedhof, die grösste Grünfläche der Stadt, bis zum Hausberg. Nie drum herum, nur weil man’s nicht tun sollte. Wenn sie dann trauernden Menschen begegnet, schaut sie beschämt zu Boden. Ihre Beziehung zu Friedhöfen beschäftigt sie schon seit jeher. Als Kind fühlte sie sich verfolgt, als Jugendliche versuchte sie diese zu ignorieren, heute ist sie fasziniert von ihrer Funktion und ihrer Wirkung auf Menschen.
  10. Nur selten einkaufen, damit sie sich nicht ins Getümmel begeben muss. Einkaufen ist wie Zähneputzen, Entsorgen, Wäscheaufhängen, Briefkasten leeren oder Putzen, eine Hassliebe. Der volle Kühlschrank gibt einem ein Gefühl von Freiheit und Genuss. Grundsätzlich ist Essen aussuchen befriedigend, nicht aber das Umfeld, die Menschen, der Aufwand. Menschen sind ihr zu anstrengend. Sie nervt sich dann immer an allen sich vordrängenden Leuten, an allen, die jedes Gemüse anfassen müssen und es dann doch wieder zurücklegen, um eine noch schönere Frucht zu ergattern. Aber eigentlich will sie ja zen sein und geht dann doch immer total genervt aus dem Laden, weil sie an der falschen Schlange angestanden ist, derjenigen, die länger dauerte, weil die Kassiererin oder der Kunde davor scheiss langsam war. Eigentlich hätte sie gerne einen Garten voller frischem Gemüse. Und jemenschen, der*die den Garten unterhält.
  11. Die meisten Tage verbringt sie zu Hause, da hat sie ihren Frieden. Weg von den Menschen, die sie nicht grundsätzlich nicht mag, aber im Grundsatz abscheulich findet. Diese Aussage verstehen ihre Freunde selten. Diese würden sie als extrovertiert, gesellig und unterhaltsam beschreiben. Selbst würde sie sich als gegenteilig beschreiben. Nur weil man sich so verhalten kann, ist man ja noch lange nicht so. Ihre Meinung. Viele ihrer Lieblingsfreizeitbeschäftigungen funktionieren nur mit Menschen und machen auch nur mit einer gewissen Anzahl Individuen Spass. Doch findet sie, das schliesse ihr ambivalentes Verhältnis zu Menschen nicht aus.
  12. Irgendwann: tägliche Sinnkrise. Wieso tue ich, was ich tue? Wieso bin ich? Wer bin ich? Und was ist der Sinn des Seins und Werdens?
  13. Nachdem das An-die-Decke-Starren nicht geholfen hat, sich die Gedankenkaskaden überschlagen haben und auf den Grund von Alices Rabbithole gestrudelt sind, der Teppich vom Hin- und Hergehen abgenutzt ist und doch nichts eine Antwort hervorbrachte, rafft sie sich wieder auf und widmet sich der Liste.
  14. Dann also hinter sich herräumen, niemandem die Schuld dafür geben können und haushalten. Aushalten.
  15. Mit jemandem telefonieren und meistens über sich und sein Leben klagen, manchmal über die Welt und ihren desolaten Zustand sprechen. Sich dann wieder schämen, weil man’s ja so dermassen gut hat und sagen: “Man hat’s ja so dermassen gut”. Die Frage bleibt nur, wofür und für wen? Schliesslich sich von Freunden Rat geben lassen und diesen nicht befolgen, weil man’s doch besser weiss. Aber eigentlich trotzdem nichts wissen und sich fragen, wieso und ob man beratungsresistent ist oder einfach nur stur, dümmlich oder unverbesserlich vergesslich.
  16. Abendessen und sich dabei intime Gesellschaft wünschen, Kinder und eine eigene Familie, und dies dann unheimlich schrecklich erwachsen finden und verwerfen. Deshalb eine Flasche Wein öffnen und sie selbstgefällig alleine austrinken. Sich eine Haschzigarette drehen und froh sein, dass man die absolute Freiheit geniessen kann.
  17. Einen True Crime Podcast hören.
  18. Schlafen.

 

LISTE 3
Gefühle: Für alle, die das Leben feiern.

  1. Die ewige Debatte zwischen Lust und Unlust. Selten gewinnt Unlust, noch seltener die Lust. Sieger ist meist die Vernunft oder der Zwang.
  2. Wie ein aufgelaufenes Schiffswrack oder der gestrandete Robinson Crusoe fühlt sich Glück an. Da alle Gefühle bekanntlich vorübergehen, auch die Freude, ist dem Glück das Unglück immanent. Also hängt über dem Glück ständig das Damokles-Schwert.
  3. In der Traurigkeit und Melancholie sich zuhause fühlen. Ein vertrautes, trautes Heim.
  4. Liebe und Hass. Hassliebe. Liebhassen, also immer alles rausjassen. Liebe Hassen. Hassen lieben. Lieben lieben und dann doch Hassen hassen. Meist himmelhochjauchzend und dann zu Tode betrübt. Schlaflose Nächte, mit viel Rotwein, vollen Aschenbechern und Augenringen.
  5. Verlangen, Langen, Schlangen, und dann der Sündenfall.
  6. Eifersucht. Kein Suchtmensch zu sein heisst eifern ohne Sucht. Ist einem Eifersucht fremd, dafür die Sehnsucht Freund, so sehnt es nach der Sucht.
  7. Stolz ist etwas für Eltern oder für jene, die gerne den Falschen mit sich herumschleppen.
  8. Unsicherheit wohnt in uns wie der Kern im Apfel, weil wir alle nach Sicherheit streben, und es diese nicht gibt.
  9. Achtsamkeit wird geübt und selten gelebt.
  10. Verwirrung ist ein Dauerzustand, ein Sein und nicht ein Gefühl.
  11. Besorgt über die fehlende Nachdenklichkeit der Mitmenschen, erschrocken über das Unvermögen eines Denken der Anderen, ängstlich über das fehlende Mitgefühl der Gesellschaft, erstaunlicherweise immer noch überrascht über den Egoismus der Leute. Also ein bisschen wütend auf die Welt und verärgert über die Menschheit oder das Menschsein.
  12. Neugierig und gelangweilt, weil das Leben doch nur eine Achterbahn von Gefühlen ist, von Erlebnissen und Gefühlen für Menschen und Erlebnissen mit Menschen. Und alles, was man hat, sowieso verliert und sogar das, was man nie hatte.

 

LISTE 4
Vorsätze: Zielsetzungen für die Stärkung der Willenskraft

  1. Dieses Jahr endlich die Knieschmerzen ernstnehmenund etwas dagegen tun, also Sport, also Physiotherapie, auch wenn es kostet.
  2. Die Steuererklärung rechtzeitig ausfüllen. Nicht mehrmals verlängern, die neuen Deadlines doch verpassen und jährlich unnötige Mahnungen bezahlen.
  3. Damit anfangen, Bücher wie Wein zu behandeln. Soll heissen: wenn man sie kauft, auch austrinken, also auslesen oder einfach lesen. Aufhören, Bücher zu kaufen, die gelesen werden sollten, weil man bei der suggestiv Frage “Das kennst du sicher” gerne mit Ja antworten würde; dafür mehr Bücher kaufen, die tatsächlich von einem gelesen werden wollen, und es dann auch tun.
  4. Mit der Langzeitaffäre brechen, weil’s nirgends hinführt, da das Gegenüber mehr will, man selbst nicht, und das mittlerweile echt anstrengend ist.
  5. Sich mehr anstrengen bei seinen Eltern und Freun- den. Kontakte pflegen. Sie öfters Fragen, wie es ihnen geht, wie es ihnen wirklich geht, also in echt und nicht nur im Smalltalk.
  6. Ausmisten. Alles und überall. Angefangen beim Material, von dem man nicht einmal mehr weiss, dass man es hat, also das Zeug im Keller und im Estrich, dann die Sachen hinten in den Schränken. Auch das wegbringen, was einen ständig anstarrt und für das Entschuldigungen gefunden werden müssen, wieso man es noch hat oder Gründe dafür, warum es doch zu behalten ist. Randnotiz: Neue Liste anlegen. Nur, damit man besitzt. Grundsätzlich nicht mehr so viel haben. Vielleicht mehr Sachen wollen, die man nicht besitzen kann?
  7. Aufräumen mit den Gefühlen, mit solchen, die einen zu fest runterziehen, die Energie kosten, welche man nicht hat. Aber auch nicht ein verblendetes immer Happy-Hippie-Kind werden, das ist zu verkrampft, zu verbissen unnatürlich.
  8. Sich vornehmen, weniger zu Rauchen, keinen Tag durchhalten, mehr rauchen als sonst, und dann so tun, als wäre es nie ein Ziel gewesen, weniger zu rauchen.
  9. Doch noch musikalisch werden. Ein Instrument lernen, beispielsweise Panflöte, und dann nur Klassische Musik darauf blasen. Oder in einen Sack dudeln, also endlich Sackpfeife lernen, wie es der Vater immer wollte.
  10. Das innere Kind wiederfinden. Dafür in fremden Gärten Blumensträusse pflücken, in hässlichen Gärten die Gartenzwerge entwenden und in öffentlichen Anlagen platzieren, am liebsten in Friedhöfen, sie bei den passenden Gräbern hinstellen, halt wie früher.
  11. Kein Mensch ist talentfrei. Deshalb das eigene verborgene Talent finden.

 

LISTE 5
Inventar: Für Klarheit und Überblick in allen Lagen

  1. Ein Bett, für das man drei Jahre gespart hat.
  2. Ein Kissen und eine Decke, mehr braucht man nicht.
  3. Zwei Bettanzüge
  4. Die Nachtischlampe, eine Kaiser Idell 6556
  5. Ein moderiger Bauernschrank aus dem Keller eines Freundes, der ein Jahr lang leer in der Wohnung stand und alle paar Wochen mit Essiglauge gereinigt wurde, bis er von Kleidern bewohnt werden konnte. Den Normcore Capsule Warderobe-Trend feiern, weil praktisch. Jetzt sind alle Kleider in der minimalsten Garderobe schwarz. Die Entscheidung hinterfragen, weil nun mega normal und sie im Sommer besonders dumm finden, weil super unpraktisch.
  6. Und eine Kleiderstange für Jacken.
  7. Ein Vorhang, neu, weil der Fensterladen klemmt und vor dem Fenster eine Strassenlampe steht.
  8. Ein Schreibtisch aus Platte und Böcken mit einer Tischleuchte von der Uni, als Andenken an diese Zeit.
  9. Ein Büchergestell aus Metall, angeblich teuer, wie die Eltern mehrfach betonten, als sie es ihr zum zwanzigsten Geburtstag schenkten. Darauf 213 Bücher und 63 Magazine.
  10. Statt eines Sofas, weil dieses an eine Freundin verschenkt wurde als man selbst keinen Platz hatte, nun aber kein Geld hat für ein Neues das gefällt, einen Sessel, vom Grossvater geerbt und einen Pouf aus Marokko von der Mutter.
  11. Zwei Plakate und ein Bild, eine Naturfotografie, auf Metall aufgezogen, ein selbstgemachtes Geschenk eines Künstlerfreundes.
  12. Ein Perserteppich.
  13. Ein Triptrap, ein Hocker und zwei Stühle.
  14. Ein Küchentisch, ein nächtlicher Strassenfund, den ein Exfreund, als sie noch nicht zusammen waren, mitgeholfen hat, zu ihr nach Hause zu tragen. Danach waren sie ein Paar.
  15. Eine Bratpfanne, zwei Töpfe, eine Kelle und ein Wender. Ein grosses Messer, vier Stück von jeder Bestecksorte, ein Vierer-Set Geschirr und zwanzig Gläser, weil man diese überall in der Wohnung verteilt und daher immer zu wenig davon hat. Für die restlichen Küchenutensilien gibt es andere. So wird auch der Kontakt zu den Nachbarn forciert gepflegt.
  16. Ein Schuhgestell im Gang mit vierzig Paar Schuhen. Drei davon werden getragen.
  17. Eine alte Holzleiter aus dem Estrich der alten Wohnung, zum Leid der Nachmieter von dort mitgenommen, für Badetücher und Schmutzwäsche.
  18. Eine Seife, eine Crème und ein Necessaire mit dem offensichtlich Nötigsten.
  19. Eine Jalousie, damit geschützt vor den Blicken der Nachbarn nackt an der Küche vorbeigerannt werden kann, wenn das Handtuch vergessen ging.
  20. Das Liebste in der Wohnung, die fünfzehn Topfpflanzen, wovon zehn Kakteen sind, die meisten geschenkt, die Nicht-Sukkulenten sind gezüchtet. Gekauft ist nur ein einen halben Meter grosser Kaktus, der damals mit dem Jahrestaschengeld einer Zwölfjährigen erstanden werden konnte.
  21. Dann Nötiges: Ein Staubsauger, Wischlumpen und drei verschiedene Putzmittel, für Bad, Böden, Küche.
  22. Und ein Estrich sowie ein Keller voller Zeug.

 

LISTE 6
Reichsein: an Dingen und durch Weisheiten

  1. Es tun, wie die Eltern. Von ihrer Erfahrung erfahren, und dann hoffentlich weniger Umwege und Fehler machen müssen, also schneller zum pensionierten Mindset gelangen: Da ist länger im Bett bleiben nicht mehr nötig, weil keine leidigen Aufgaben auf einen warten. Wein gibt’s schon ab Mittag, weil wieso nicht. Am Nachmittag tritt das Anrecht auf einen Mittagsschlaf wieder ein, weil’s niemand hinterfragt und niemanden interessiert, und man es sich ohne schlechtes Gewissen gönnt. Für Gruppendruck und gesellschaftliche Erwartungen bleibt keine Zeit. Man lebt das ultimative “thug-life”.
  2. Vogelfrei und frei wie ein Vogel. Etwas zwischen Rebellion und Sehnsucht. Das Sein erkennen und nicht vergessen, die Unabhängigkeit und Freiheit wahrzunehmen und zu geniessen.
  3. Weltreisen heisst für die meisten einfach nur, mehrere Monate verschiedene Touristendestinationen abzuklappern, sich bedienen zu lassen, zu leben wie Könige oder eben Arschlöcher, und dann nicht viel von der Welt zu sehen. Also mehr die Welt bereisen statt in die Welt reisen. Weltreise geht anders. Einmal um die Welt kommen, überall hin, wo man eigentlich nicht hin will, weil arm, weil unbekannt, weil anders, weil Hemmung, weil Angst. Das unangenehme Aushalten und sich konfrontieren mit dem eigenen Privileg, dem eigenen Luxus, dem eignen Selbst und seinen Gewohnheiten und Vorstellungen. Dann geläutert oder verblendet, Hauptsache bescheiden, zurückkehren.
  4. Es nicht so eng sehen.
  5. Es locker angehen, die Zeit ist begrenzt, man hat aber genug davon, auch wenn sie davonrennt.

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studierte Anglistik und Germanistik an der Universität Bern und absolviert zurzeit einen Master in Kulturpublizistik an der ZHdK. Das mit dem Schreiben ist bekanntlich so eine Sache – für sie handelt es von Tun und Nichtlassenkönnen. Sie kann es nicht lassen, sich mit Worten Gedanken über die Welt, ihre Menschen und das Dasein zu machen. Mit den dafür benötigten Worten führt sie eine Beziehung der Hassliebe; und trotzdem erklärt sie das Schreiben zu ihrer Leidenschaft – weil Geschichten und wie sie erzählt werden sie faszinieren, weil die Sprache und ihre Möglichkeiten sie beeindrucken.